Einsamer sucht Einsame zum Ein...
Gerade hatte jemand bei "Polyamorie" ein ver.di-Seminar gepostet, indem es um eine Diskussion betreffs Begriffsveränderung von "Angehörigen" (z.B. als Berechtigte und Verpflichtete) hin zu "Zugehörigen" ging.
Beide Begriffe finden wir grundsätzlich hochinteressant und natürlich haben wir als Beziehungsanarchisten Präferenzen.
Angehörige "gehören mir an" - aber vielleicht ist es der Vater, mit dem ich seit 10 Jahren keinen Kontakt mehr pflege oder der Bruder in Norwegen.
Bei
Zugehörigen haben wir selbst beschlossen, daß sie "zu uns" gehören. Das ist quasi unsere Wahlfamilie, die uns in Schwierigkeiten verläßlich unterstützt, mit Rat und Tat und Tempotaschentüchern zur Stelle ist. Menschen, denen wir Vertrauen, weil sie unser Leben auf vielerlei Art und Weise bereichern.
Auch gesellschaftlich geht es also um einen Paradigmenwechsel.
Es gibt aber eine Gegenbewegung - und die ist vorwiegend in der Individualisierung von uns Einzelwesen heute in der Gesellschaft zu sehen (im Positiven) - was aber im Extrem auch zur Vereinsamung (im Negativen) führen kann.
Solche stark individualisierten Persönlichkeiten, zu denen durchaus so einige Vertreter*innen der Single-Szene gehören, werden eher für sich nicht das Heil in Modellen polyamorer Netzwerke sehen - insbesondere, wenn sie für sich verinnerlicht haben, daß "der Starke am mächtigsten allein ist" (Schiller).
Zwar haben Glücksforscher mittlerweile herausgefunden, daß diese starke Vereinzelung für uns Menschen langfristig nicht wirklich gesund ist - aber die Gegenwart sieht anders aus: Von Einraumwohnungen über Mini-Autos bis hin zu Single-Aufbackportionen.
Unsere Arbeitswirklichkeit mit der starken Forderung nach Mobilität und Flexibilität steht Vergemeinschaftung (es sei denn, man hat Aussteigerqualitäten) auch oft im Wege.
Manchmal scheint dann zur Zeit "Monogamie" statt "Automonie" (=Selbsteinsamkeit) das kleinere Übel bzw. das "next best" zu sein.
Gelebte Polyamorie ist anstrengend - gerade hinsichtlich Selbstausdruck und Kommunikation.
Wir können uns schwer vorstellen, daß diese Lebensweise mittelfristig massentauglich wird.
Monogamie hingegen ist wie ein knuddeliger Kleinwagen mit Standardsicherheitspaket, den jede/r mag und jede/r kennt, weil er einem an jeder Straßenecke entgegenkommt.
Wir Menschen wählen unbewußt sehr häufig auch das Vertraute - und bilden uns ein, wir hätten eine autonom-unabhängige Willensentscheidung getroffen.
Monogamie wird darum noch eine ganze Weile kein Auslaufmodell sein.